Die Eröffnung von Elektrotheatern oder “Die Vorstellung ist abgesagt”

Kommerz und Kontrolle der Unterhaltungskultur in den Provinzen des Russischen Kaiserreichs

Abstract

Die Geschichte des Kinos zu Beginn des 20. Jahrhunderts spiegelt den sozialen Wandel wider, der durch die Verstädterung und Modernisierung der vielschichtigen Gesellschaft des Russischen Reiches ausgelöst wurde. Dies erklärt das große Interesse an der Geschichte des Filmvertriebs und der Kinos in den Provinzen. Die Besonderheiten der ersten Provinzkinos und ihrer Filmvorführungen verdienen jedoch eine gesonderte Betrachtung. In diesem Beitrag wird der Prozess der Eingliederung der frühen Kinos in die Amüsementindustrie von ihrer Eröffnung 1906-1907 bis zur Katastrophe von Bologoe und dem Erlass von P.A. Stolypin über verbindliche Vorschriften für  Kinos nachgezeichnet. Auf der Grundlage von Kinozeitschriften, Provinzzeitungen, Archivalien und veröffentlichten Ego-Dokumenten vergleicht die Studie unterschiedliche Typen früher Kinos  auf dem Territorium des Russischen Reiches, beschreibt ihre Lage, die Vorführtechnik, das Publikum und die begleitenden Unterhaltungsprogramme. Die Studie zeigt die Abhängigkeit der Zensur von der politischen Landschaft und die Entwicklung der Kinopraktiken im Einklang mit den Erwartungen der Öffentlichkeit. Es wird aufgezeigt, wie die Förderung des Kinos dazu beigetragen hat, das soziokulturelle Umfeld von Städten, Fabriken und ländlichen Siedlungen zu verändern und eine Nachfrage nach neuen Arten der Kommunikation zu schaffen. Eine logische Fortsetzung dieser Arbeit ist die Untersuchung der Gentrifizierung von Kinosälen und der Wahrnehmung von Spielfilmen.